Dienstag, 23. Dezember 2014

German Pop - Die Frankfurter Schirn auf der Suche nach Publicity und Pop

Überraschungen und Entdeckungen im Provinziellen

Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle, spricht über die noch bis 8. Februar laufende Ausstellung „German Pop“ von der „Archäologie der 1960er Jahre“ – und die Kuratoren der Ausstellung haben wahrhaft tief in deutschen Sammlungen und Archiven gegraben und längst vergessene Künstler wieder ans Tageslicht befördert. Die als große Überblicksschau angekündigte und mit dem publicity-suchenden Label „German Pop“ versehene Ausstellung versammelt neben den altbekannten deutschen Größen Sigmar Polke, Gerhard Richter und Wolf Vostell auch einige künstlerische Überraschungen (u.a. der seit Jahren immer wieder wiederentdeckte Peter Roehr, der Düsseldorfer Kriwet und Christa Dichgans) – der Großteil der Show aber widmet sich Zweitklassigem und Provinziellem: Bei vielen diesen Künstlern sieht man sofort, warum sie in der Versenkung verschwunden sind. Zwanghaft bemüht versucht die Schirn diese Künstler anhand einer Kategorisierung in vermeintliche regionale „Epizentren“ zu kanonisieren.

Banalität des Mediokren

Bei all dieser Banalität des Mediokren übersehen die Ausstellungsmacher aber vor allem, dass der allumfassende Anspruch, den das so medienwirksam gewählte Schlagwort „German“ erhebt, durch eine Konzentration auf ausschließlich westdeutsche Künstler in der Ausstellung keinesfalls gerecht wird. An dieser Stelle mag der Einwurf gerechtfertigt sein, dass mit Polke und Richter zwei prominente Künstler der Ausstellung aus Ostdeutschland stammen, dagegen mag man aber halten, dass ihre künstlerische Sozialisation hauptsächlich in Westdeutschland stattfindet. So besteht auch 25 Jahre nach dem Fall der Mauer die innerdeutsche Grenze in der Frankfurter Institution weiter. Eine kritische Reflexion und wissenschaftliche Bearbeitung ostdeutscher Kunst findet nach wie vor nicht statt – als wäre die Schirn ein unterfinanziertes Provinzmuseum. So wird ein ganzes Land, 17 Millionen Bürger und eine komplette Generation von Künstler einfach unter den Teppich gekehrt, als hätte es sie nie gegeben.


Pop-Art in der DDR – Willy Wolff

Denn es gab sie, Pop-Art in der DDR, Künstler, die abseits des Staatsbetriebs den künstlerischen Anschluss an den Westen suchten. Pop-Art – so erfahren wir sogar in der populär-wissenschaftlichen Ausstellung der Schirn – bedeutet nicht nur Konsumrausch und Warenwelt, sondern auch Reflexion einer Alltagskultur, in der die Bildmittel der neuen Medien die visuelle Erfahrung der Nachkriegsgesellschaft prägen. Neben Arbeiten von Hans Ticha, dessen vermeintlich sachlich nüchterne Bildsprache die stereotypen Machtinstrumentarien der Diktatur der Arbeiterklasse persifliert und dabei einiges an politischem Sprengstoff bietet, fehlen allen voran die Werke des großartigen ostdeutschen Pop-Art Künstlers Willy Wolff. Auf der Suche nach neuen formalen Mitteln, die nicht der Ikonografie des Sozialismus entstammen, findet dieser über die Collage zur Pop-Art. Wolffs distanzierter Blick auf die Umwelt und sein feiner Humor lesen sich aber bis heute zweideutig. Seine Collage eines fiktiven Werbebildes für eine Heißwasserdusche etwa verweist auf das, was es in der sozialistischen DDR eher selten zu haben gibt, gleichzeitig kann es aber auch als Kritik an der Warensehnsucht seiner Landsleute gelesen werden. (1) 

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Willy Wolff, Lenin zum 100. Geburtstag, 1970, Öl auf Hartfaser, 116 x 95,5 cm (2)

Zum 100. Geburtstag Lenins 1970 fertigt Wolff ein Bild, das die Bildfläche mit einem Raster von kleinen standardisierten Leninporträts in Warhol’scher Manier überzieht. Darüber gelegt findet sich eine feierliche-bunte Banderole, die sich bei näherem Hinsehen als entleertes Bilder-Leporello mit dem Geburtsjahr Lenins herausstellt. Das uniforme Lenin-Emblem, das ihn in der Rolle des Visionärs zeigt, ist ein Motiv, das den gesamten DDR-Alltag überzieht: als Statuen oder Büsten, Reliefs oder Wandbilder, in Glasfenstern oder einfachen Porträtgemälden, an öffentlichen Plätzen und Gebäuden. Mit der vielfachen Aneinanderreihung des Konterfeis bezieht sich Wolff auf dessen ständige Gegenwart, seine ikonenhafte Verehrung, aber auch auf seine Instrumentalisierung. Denn die Mittel der Werbung funktionieren nicht nur für westliche Konsumgüter, auch die ostdeutsche Propaganda nutzt die Medialisierung des Lenin-Bildnisses für ihre kommunistische Ideologie. Oder steckt in dieser ironischen Kritik des Propagandaapparats vielmehr eine verborgene Parodie auf die westliche Konsumwelt, deren Produkte und Stars eher weniger „Werte“ transportieren und die trotzdem zu Ikonen stilisiert werden? Willy Wolffs Bilder jedenfalls bieten auch für die Zukunft noch viel Raum und Chancen zu ihrer Entdeckung.

 

Christa Dichgans' Anhäufungen von Dingen

 

Christa Dichgans, Stillleben mit Frosch, 1969, Aquatec auf Leinwand 55 x 65 cm, Privatsammlung, Courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin Foto: Jochen Littkemann

Trotz aller konstruktiver Kritik, es gibt auch einige überraschende Entdeckungen in der Show, allen voran die Arbeiten von Christa Dichgans. In den frühen Sechzigern beginnt die Künstlerin Akkumulationen von Plastikspielzeug und aufblasbaren Gummitieren zu malen. Ihre Stillleben von gehäuften Dingen, Spielzeugartikeln und Strandutensilien, von aufblasbaren Superhelden und übergroßen Tierfiguren, später auch von Waffen und Kleidern, Reisesouvenirs und klassischen Skulpturen, die in einem Meer aus Würsten zu versinken drohen, sind zuallererst vor allem eins, ein Konzentrat auf die Dinge: „It was like a small-format reality in concentrated form,“ (3) sagt die Künstlerin, die 1966 mit einem Stipendium des DAAD nach New York zieht und den Siegeszug der amerikanische Pop-Art in dessen Epizentrum selbst miterlebt. Ihre kleinformatigen Stilleben zeugen nicht nur von einer guten Portion Ironie und Humor, sondern liefern auch einen bissigen Kommentar zum Warenfetischismus, zur Spaß- und Überflussgesellschaft jener Jahre, die der heutigen Post-Pop-Fetischisierung des Kunstobjekts à la Jeff Koons in nichts nachstehen. Und so meint man die Bilder selbst schreien zu hören: Seht her, meine Anhäufungen von aufgeblasenen Objekte sind nichts als heiße Luft!

KRIWET's visionäre Medienkunst

 

KRIWET, Neon-Text 1-4, 1973, Hochspannungsleuchtstoffröhren auf Aluminium, eloxiert, Acrylglas je 201,8 x 101,8 x 25 cm, Courtesy BQ, Berlin Foto: Franz Wamhof, ZKM | Museum für Neue Kunst Karlsruhe

Projektion von Ferdinand Kriwet im Creamcheese, 1967 Foto: Sammlung Creamcheese, Düsseldorf

Auch der Düsseldorfer Künstler KRIWET, den die Kunsthalle Düsseldorf schon 2011 mit einer großen Einzelpräsentation feierte, fasziniert mit seinen bild- und wortgewaltigen Collagen. Seine visionäre Medienkunst, die die veränderten Sprach- und Sehgewohnheiten einer von Massenmedien, Werbung und visuellen Reizen überfluteten Nachkriegsgesellschaft reflektiert, scheint heute aktueller denn je. Gleich zu Beginn der Ausstellung leuchtet seine Arbeit „Neon-Text 1-4“, in der sich die grellbunte Wörter auf mehreren Ebenen hintereinander überlagern. Kaum zusammenhängend lesbar kontextualisiert KRIWETs Neonarbeit den sprachlichen Raum der massenmedialisierten und von visuellen Reizen überfluteten Gesellschaft. Auch die Filmmontage „Teletext“ von 1967/2011 verarbeitet Sprache als vielfältiges Kommunikationsmedium. Fernsehen, Außenwerbung und Werbetexte liefern für den aus der konkreten Poesie kommenden Künstler KRIWETs Sprache und Bilder, mit denen er konsequent und auf fast exzessive Weise den Literaturbegriff über das Buch hinaus in Video und visuelle Medien erweitert. Im Staccato-Rhythmus hintereinander geschnitten spiegeln sie so die Dynamisierung der Lebenswelt zur Hochphase der Pop-Art wieder.


Peter Roehr und das serielle Werbebild

 

Peter Roehr, Untitled (FO-16), 1964, Papier auf Karton 30 x 31 cm, Privatsammlung © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 Foto: Michael Habes

Das serielle Prinzip der Pop-Art vertreten in der Ausstellung zwei Frankfurter Künstler: Thomas Bayrle und Peter Roehr. Letzterer hat wie kein anderer im deutschen Raum den Begriff der Wiederholung auf die Bildlichkeit des Massenkonsum angewendet.

„Ich glaube, dass jedes Ding erfassbare Eigenschaften in sich birgt, die wir jedoch nicht wahrnehmen,“ so Röhr 1965. „Wenn wir ein Ding mehrere Male nebeneinander oder untereinander oder hintereinander wahrnehmen, bemerken wir diese Eigenschaften.“ (4)

In Videoarbeiten, Tonaufnahmen und Bildern konzentriert sich Roehr auf einzelne Ausschnitte des Bildes, die meist der Werbung entnommen, einen Slogan oder eine Element des Bildes in konsequenter Wiederholung aneinanderreihen. Besonders seine 22 Film-Montagen von 1965, die auch auf DVD erhältlich sind, verdeutlichen den Einfluss amerikanischer Lebensart in der wohl amerikanisch geprägtesten Stadt Deutschlands.

Matthias Philipp

(1) Carsten Probst. Pop Art in der DDR, in: Deutschlandradio Kultur, 2006.
(2) Berlin, Pan Wolff Nachlass und Archiv des Künstler, Nr. 389
(3) Wittneven, Katrin. Christa Dichgans in Conversation with Katrin Wittneven, in:  Christa Dichgans: King Kong Kisses, Contemporary Fine Arts, Berlin 2006.
(4) Spannende Wiederentdeckung: Peter Roehr in Frankfurt, in: DB ArtMag, 2010.




Dienstag, 16. Dezember 2014

How can we tell the dancers from the dance - Philippe Parreno's Tanz der Objekte

Philippe Parreno's "quasi-objects" bei Esther Schipper, Berlin 


Philippe Parreno, Ausstellungsansicht, Esther Schipper, 2014, Copyright: Philippe Parreno, Courtesy: the artist & Esther Schipper, Berlin, Photo: © Andrea Rossetti

Mit gleich zwei Ausstellungen beglückt der französische Künstler und Filmemacher Philippe Parreno Berlin. In seiner Show „quasi-objects“ bei Esther Schipper, die von der Fülle der Arbeiten an eine Retrospektive denken lässt, setzt er seine künstlerischen Objekte, die seit 1992 immer wieder in seiner Arbeit und seinen Ausstellungen auftauchen, untereinander in neue Zusammenhänge und Verweisstrukturen (noch bis 15. Januar 2015). 

Seine leuchtenden Vordächer, die der Künstler schon 2006 und 2007 in seinen beiden ersten Ausstellungen bei Esther Schipper im Außenbereich über der Eingangstür der Galerie installierte, sind in der Show „quasi-objects“ auf neue Weise mit dem Ausstellungsraum und -situation verwoben. Rhythmisch blinkend interagieren sie mit den anderen Objekten, dem selbst-spielendem Klavier, ja sogar mit den normalen Oberlichtern des Galerieraums, und erzeugen eine szenische gliedernde Atmosphäre. 

Philippe Parreno, Ausstellungsansicht, Esther Schipper, 2014, Copyright: Philippe Parreno, Courtesy: the artist & Esther Schipper, Berlin, Photo: © Andrea Rossetti

Philippe Parreno, Ausstellungsansicht, Esther Schipper, 2014, Copyright: Philippe Parreno, Courtesy: the artist & Esther Schipper, Berlin, Photo: © Andrea Rossetti

Das „automation principle“ (1), dem die rhythmisch leuchtenden und quasi-belebten Objekte unterliegen, führt den Besucher in einer „non-auhtoritarian“ (2) Abfolge durch die Inszenierung. Dabei geht es Parreno vor allem darum, dem Besucher eine neue poetische und sensorische Erfahrung in seiner inszenierten Ausstellungssituation zu übermitteln. (3)

"I devise my exhibitions like a film," sagt Parreno. "I think about sequences, about the rhythm of the experience for the visitor. Or like music: my exhibitions often unfold like a musical score. They unfold in time.“ (4)



Philippe Parreno's tanzende Objekte im Schinkel Pavillon, Berlin


Philippe Parreno, Installationsansicht at Schinkel Pavillon, 2014: How Can We Know The Dancer From The Dance, 2014, wood, paint, speakers, amplifiers, cables, moving wall, Ø 601 cm (stage), 301 x 51 x 600 cm (moving wall), Courtesy: The artist and Esther Schipper, Berlin Photos: © Andrea Rossetti

Philippe Parreno, Installationsansicht, Schinkel Pavillon, 2014: How Can We Know The Dancer From The Dance, 2014, wood, paint, speakers, amplifiers, cables, moving wall, Ø 601 cm (stage), 301 x 51 x 600 cm (moving wall), Courtesy: The artist and Esther Schipper, Berlin Photos: © Andrea Rossetti


Der Schinkel Pavillon ist die Bühne für Parreno’s zweite Einzelpräsentation in Berlin, von der ebenfalls eine fast geisterhaft automatistische Präsenz ausgeht (verlängert bis zum 1. Februar 2015). Parreno hat hier ein flaches weißes Podest in der Mitte des Ausstellungsraumes platziert, das fast den gesamten Raum füllt und nur einen geringen Spalt zu den verglasten Wänden des Pavillons frei lässt. In seiner konzentrischen Form nimmt das Podest Bezug auf die oktagonale Ausstellungsstruktur und damit auf den Raum des Ausstellens selbst. In dem kleinen Spalt zwischen Raumbühne und Außenwand, durch den die Besucher die Bühne umrunden können, befindet sich auch eine gebogene Wand. Sie umspannt fast ein Viertel des Podests und umfährt es in einer langsamen Bewegung. Stampf-, Schlag- und Trittgeräusche ertönen dazu aus versteckten Lautsprechen und erinnern an die rhythmischen Geräusche eines Tanzes, zu deren ungehörter Melodie die Wand kontinuierlich um die statische Raumbühne kreist.

Der Raum selbst erwacht so zu gespenstischem Leben, der auf die in ihm abwesenden Dinge aufmerksam macht. In „How can we know the dancer from the Dance?“ (2014) erwecken nicht die Tänzer den Raum und die Bühne zum Leben. Der performative Raum der leeren Bühne, der seinen eigenen Tanz aufführt – wie auch der „entleerte“ Ausstellungsraum des Schinkel Pavillons – veranschaulichen als Dispositiv des Zeigens die Bedingungen unserer Wahrnehmung. Parreno selbst nennt dies „staged seeing“ (5) – er verwandelt den Ausstellungsraum in einen Reflexionsraum, in dem wir über unsere Wahrnehmungsweisen, wie und vor allem auch dass wir wahrnehmen und sehen, aufgefordert werden. Denn Parreno interessiert nicht, was ausgestellt wird, sondern die Erfahrung der Ausstellung an sich. Geschickt entwirft er dafür „psychologische Perspektiven“ (6), die dem Sehen vorgreifen, etwa das akustische Phänomen der Geräusche, das uns Tanz und Bewegungen der Tänzer im Raum hören und imaginieren lässt.

Wie auch mit seinen „Quasi-Objekten“ in der Ausstellung bei Esther Schipper nimmt Parreno mit seiner Präsentation im Schinkel Pavillon Bezug auf eine frühere Ausstellungssituation, die er 2012 im Philadelphia Museum of Art schuf. In der dortigen Ausstellung „Dancing Around the Bride: Cage, Cunningham, Johns, Rauschenberg and Duchamp,“ die die Bezugnahme der genannten Künstler, Komponisten und Choreographen auf die Arbeiten Marcel Duchamps untersuchte, installierte Parreno zwischen den Kunstwerken eine Bühne, auf der elf Tanzelemente aus fünf Choreographien Cunninghams aufgeführt wurden: „Roaratorio,“ „Suite for Five,“ „XOVER,“ „RainForest“ und „Duets.“ Die aufführenden Tänzer waren allesamt unter den zuletzt ausgebildeten Schülern des Choreographen Merce Cunningham, dessen „Zufallschoreographie“  - etwa dem Werfen einer Münze für das Bestimmen einzelner Bewegungen oder Tanzsequenzen - die künstlerischen Strukturen der Tänze erzeugt. Diese aufgenommenen Schrittfolgen, die nun von der leeren Bühne her klingen und vom Phänomen des Tanzes zeugen, stehen als Objekte unserer Wahrnehmung zu einer dialektischen Beziehung zu den Bewegungen im Raum: die sich drehende Wand als einziger Tänzer im Raum, aber auch unsere eigenen Bewegungen selbst und die der anderen Besucher, lassen uns den imaginierten Tanz, die Bühne und die Ausstellungssituation im Raum neu erfahren. In diesem Sinne ist es Parreno, der unsere Bewegungen im Raum neu choreografiert (7) und so durch das Ritual der Ausstellung sein Objekt jedes Mal neu erfindet. (8)

Matthias Philipp

Philippe Parreno, Installationsansicht, Schinkel Pavillon, 2014: How Can We Know The Dancer From The Dance, 2014, wood, paint, speakers, amplifiers, cables, moving wall, Ø 601 cm (stage), 301 x 51 x 600 cm (moving wall), Courtesy: The artist and Esther Schipper, Berlin Photos: © Andrea Rossetti

Hinweis: Am Sonntag, den 1. Februar 2015, um 17 Uhr findet das Gespräch "Parreno's Ghosts" mit Dr. Barbara Steiner und Dr. Jörn Schafaff im Schinkel Pavillon in deutscher Sprache statt.


(1) Philippe Parreno in einem Interview mit Céline Piettre, „Philippe Parreno’s New Megashow Fills the Palais de Tokyo, in: blouinartinfo, October 2013
(2) ebd.
(3) ebd.
(4) Stuart Jeffries, Philippe Parreno: timing is everything, Guardian, November 2010
(5) Philippe Parreno in einem Interview mit Céline Piettre, „Philippe Parreno’s New Megashow Fills the Palais de Tokyo, in: blouinartinfo, October 2013
(6) ebd.
(7) Philippe Parreno in einem Interview mit Ben Eastham, in: The White Review, August 2014.
(8) Philippe Parreno in einem Interview mit Céline Piettre, „Philippe Parreno’s New Megashow Fills the Palais de Tokyo, in: blouinartinfo, October 2013


Freitag, 28. November 2014

Schrill Bizarr Brachial. Das Neue Deutsche Design der 80er Jahre – Bröhan Museum, Berlin


Form follows fun - Experimentelles Design der 80er Jahre in Deutschland


„Schrill Bizarr Brachial“ geht es in Deutschland in den Achtziger Jahren nicht nur in der Malerei der Neuen Wilden oder den Songs der Neuen Deutschen Welle zu, auch im Design sorgen Gruppen wie Kunstflug, Möbel perdu, Stiletto oder Designer wie Andreas Brandolini, Herbert Jakob Weinand, Heinz Landes oder Axel Kufus und Ulrike Holthöfer international für Aufsehen. Ihr „NeuesDeutsches Design“ bietet einen radikal neuen, experimentellen Ansatz, der die gestalterischen Normen der Moderne und des Ulmer Designs dekonstruiert und in seiner gesellschaftspolitischen und lebensreformerischen Zielsetzung einen entschieden künstlerischen Anspruch an das Design stellt.

Diese neue, junge Generation an Designern, deren künstlerische Designobjekte das Bröhan Museum noch bis zum 1. Februar 2015 in einer Sonderausstellung zeigt, befreit sich im schrillen Gestus des Protests vom Diktum der Funktionalität und dem normierenden Zwang zur industriellen Massenproduktion. Dabei zielten die vielfältigen Designgruppen und Designer, die sich in Ermangelung eines gesamtdeutschen Zentrums in fast allen bundesdeutschen Großstädten formierten, zunächst darauf, die Codierungen des funktionalistischen Designs aufzubrechen und den eigentlichen Gebrauchsgegenstand auf seine sinnlichen Eigenschaften und sein gesellschaftspolitisches Potenzial zu untersuchen. Ihr „experimentellesDesign,“ so die eigentliche Selbstbezeichnung der Designer, will das Verständnis und die Möglichkeiten der Gegenstände neu ausloten und zeugt von ihrem neuen Selbstverständnis, das den Designer nicht nur als Auftragsempfänger der Industrie sieht, sondern als Künstler, Avantgardist und Visionär. Ihre Gestaltung von Möbeln, Lampen und Gebrauchsgegenständen berücksichtigt auf formaler und funktionaler Hinsicht die Pluralität der Lebensweisen, die zunehmende Digitalisierung und Technologisierung der 1980er Jahre wie auch die politische Realität des Kalten Krieges.

Ausstellungsansicht: Raum "Kunstflug", Bröhan Museum, Berlin, Foto: Nicola Arthen

 

Die Düsseldorfer Design Gruppe Kunstflug

Design habe „Zeichen für Hoffnungen, Ängste und Erwartungen einer Zeit zu schaffen,” (1) so das Motto der Düsseldorfer Gruppe Kunstflug, deren Krefelder Ausstellung „KUNSTFLUG. Neues Deutsches Design“ im Jahre 1983 der gesamten Bewegung ihren Namen gibt. Ihre aus Baumstämmen gestalteten „Baumleuchten“ und „Kaffeebäume“, knallig lackiert und mit Neonröhren versehen, kommentieren den Aspekt der ökologischen Herstellung sowie das Anfang der 1980er bestimmende gesellschaftliche Thema des grassierenden Waldsterbens in Europa.


links: Axel Kufus/Ulrike Holthöfer, "Bade-Regal", 1985, Kunststoff, Foto: Martin Adam, Berlin - rechts: Axel Kufus/Ulrike Holthöfer, Tischleuchte "Lichterstrauß", 1985, Telefonkabel, Kabelbinder, Leuchtkörper, Foto: Martin Adam, Berlin


Ready-Made-Objekte von Axel Kufus und Ulrike Holthöfer

Die Neuinterpretation von Gegenständen und Materialien schafft eine Art von “Ready-Made-Objekten,” die Vorhandenes mit unbefangenem Blick in neue Funktionen bringen. Axel Kufus und Ulrike Holthöfer transformieren so die Kunststoffform eines Gartenteiches in ein “Bade-Regal.” Und ihre Tischleuchte „Lichterstrauss“ bindet einfache Glühbirnen mit Telefonkabeln zusammen als Ausdruck der fortschreitenden Digitalisierung.


links: Heinz H. Landes, Freischwinger "Solid", 1986, Beton, Armierungseisen, Foto: Martin Adam, Berlin, (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2014 - rechts: Möbel perdu, Leuchte "Tyranno", 1984, Kunststoff, Glühlampe, Foto: Martin Adam, Berlin

Form follow fun - narratives Design von Heinz Landes und Möbel perdu

Die zumeist in Kleinserien oder als Unikate hergestellten Objekte kombinieren und experimentieren mit vorgefundenen und ungewöhnlichen Materialien – oft verwenden die Designer rohes Eisen, Stahl, Stein, Beton, Gummi und Plüsch. Heinz Landes schafft so mit seinem in Beton gegossenem Freischwinger „Solid“  eine Neuinterpretation des Designklassikers, dabei aber nicht unbedingt das bequemste Sitzmöbel des „Neuen Deutschen Designs.“ Die Leuchte „Tyranno“ der Hamburger Gruppe Möbel perdu kombiniert den funktionalen Gebrauchsgegenstand mit der erzählerischen und emotionalen Spielzeugfigur eines Dinosauriers und verkehrt so den Slogan „form follows function“ in „form follows fun!“


Andreas Brandolini, "Deutsches Wohnzimmer - Ensemble für die documenta 8", 1987, Foto: Martin Adam, Berlin

Das "Deutsche Wohnzimmer" auf der documenta 8

Erzählerisch wird es auch, wenn man sich Andreas Brandolinis Vorschlag des „Deutschen Wohnzimmers“ für die documenta 8 anschaut. Das Ensemble, welches das Bröhan-Museum in seiner originalen Ausstellungsinszenierung rekonstruiert, zeugt von der allgemeinen Annäherung zwischen Kunst und Design in den Achtziger Jahren. Die Sitzmöbel gruppieren sich hier um einen Teppich, auf dem das Motiv eines Lagerfeuers zu sehen ist. Darauf steht ein marmorner Tisch in Form einer Bratwurst, die bildlich über dem Feuer gegrillt wird. Brandolini verwendet für die Inneneinrichtung des Wohnzimmers narrative Zeichen und Codierungen, die auf die gesellschaftliche Funktion des Raumes und der Möbel verweisen: Das Lagerfeuer als archaisches Zeichen für die menschliche Begegnung, die um das Feuer herum sitzen, essen und Informationen austauschen. Auch die Satteltaschen des Fernsehtischs spielen auf den Informationsaustausch an. Mussten in früheren Zeiten Informationen noch mühselig mit Postkutschen und Reitern über lange Strecken transportiert werden, flimmern sie nun unmittelbar über den Fernseher in die Wohnung der Menschen. Gleichzeitig verweisen der Medienhund und die Medienkonsole auf dem Sofa auch auf die Notwendigkeit, das Design den neuen Realitäten einer medialisierten Gesellschaft anzupassen und dafür neue Formen zu finden. 


Ausstellungsansicht: Raum "Galerie Weinand", Bröhan Museum, Berlin, Foto: Nicola Arthen

"Gewalt und Schrecken" in der Berliner Galerie Weinand 

So wie sich das „Neue Deutsche Design“ den Ansprüchen einer digitalisierten Gesellschaft stellt, begegnet es auch der politischen Situation der 1980er Jahre. Die Berliner Designgalerie Weinand, die in ihren Räumen immer thematische Gruppenausstellungen veranstaltet, lädt 1985 Berliner Designer ein, Objekte zum Thema Gewalt und Schrecken zu entwerfen. Herbert Jakob Weinand selbst entwirft einen Teppich, in dem der Grenzverlauf der Berliner Mauer in den Stoff eingewebt ist. Seine Raketenleuchten und Bistrotische spielen dagegen auf den Nato-Doppelbeschluss an, der die Stationierung von atomar bestückten Pershing II Mittelstreckenraketen auf bundesdeutschem Gebiet vorsieht und der die Massenproteste der Friedensbewegung in den 1980er Jahren in Deutschland auslöst.

Das „Neue Deutsche Design“ stellt sich so der Realität und den Ansprüchen einer neuen Zeit, die von gesellschaftspolitischen und ökologischen Konflikten geprägt ist, und die pluralistischen Lebensentwürfen und gesellschaftlichen Fragestellungen ebenso in ihr Design einbezieht wie sie auch eine gestalterische Vision für die Zukunft entwickelt. In ihrem Formenvokabular zeigt so das „Neue Deutsche Design“ eine Vielzahl von Ansätzen und Positionen, die Ausdruck des Aufbruchs in eine neue Zeit  sind und die „gute Form“ des funktionalistischen Designs hinter sich lassen.

Matthias Philipp

Herbert Jakob Weinand, Teppich "Berlin", 1985, Wolle, Foto: Martin Adam, Berlin


1) Eisele, Petra: Deutsches Design als Experiment – Theoretische Neuansätze und ästhetische Manifestationen seit den sechziger Jahren, Köln 2005, S. 128.

Freitag, 21. November 2014

Bram Braam - City of Tomorrow


 Bram Braam - City of Tomorrow, 2014, courtesy Import Projects
 Bram Braam - City of Tomorrow, 2014, courtesy Import Projects

Der niederländische Künstler Bram Braam (*1980) zeigt in den Räumen des Berliner Projektraums Import Projects eine raumgreifenden Installation, in der er uns mitnimmt auf seinen Streifzug durch eine vergangene Zukunft. Die verschachtelte Installation mit dem Titel „City of Tomorrow“, die sofort an ein architektonisches Raumgefüge denken lässt, in dem Gänge, Treppenläufe, Lüftungsschächte und Versorgungsrohre über mehrere Raumebenen hinweg ineinander greifen, nimmt Bezug auf die gebaute Utopie einer vergangenen Moderne in der schottischen Stadt Cumbernauld.

Seine Erzählung beginnt bereits beim Betreten der Installation. Der verschachtelte Raum, gebaut aus alten, wiederverwerteten Rigips- und MDF-Platten, deren Wasserflecken und Spuren des Gebrauchs deutlich sichtbar sind, fordert den Besucher auf, sich in die Struktur hineinzubegeben. Zu sehen sind darin zwei geloopte Videosequenzen. Braam bedient sich in ihnen der situationistischen Aneignungs- und Bewegungsstrategie des Dérive – dem ziellosen Umherschweifen abseits ausgetretener Pfade – um so den Einfluss der architektonischen Strukturen auf die Wahrnehmung zu erkunden. In der Tat wird der Betrachter in die Perspektive eines Umherschreitenden versetzt, der sich plötzlich in eine ineinandergeschachteltes System von Wegen gesetzt sieht. Auf  menschenlosen mäandernden Gänge und scheinbar endlos verzweigten Versorgungswegen schreitet er das Innere des Gebäudes der Cumbernaulder New Town ab. Starr nach vorne gerichtet folgt der durch die architektonische Begrenzung der Installation sowie die Kamerafassung beschränkte Blick der Laufrichtung des Künstlers, dessen Führung der Kamera weder einen Blick nach rechts noch nach links erlaubt. Sein langsamer Schritt scheint zielgerichtet, und so folgen wir dem Künstler auf seiner Dérive durch menschenleere Gänge, in denen sich verschlossene Türen in endloser Wiederholung aneinanderreihen, durch Gänge ohne natürliches Licht, die uns die Tageszeit vergessen lassen, steigen mit ihm Treppenhäuser hinauf und übertreten verglaste Brücken, die meterhoch über der Straße einzelne Gebäude miteinander verknüpfen. Schnell stellt sich ein Gefühl der Isolation und Orientierungslosigkeit ein, sich in den immergleichen Gängen und der verschachtelten Gebäudestruktur zu verlieren, in der Trivialität der Wiederholung unterzugehen. In verlassenen Gängen, in denen Eimer die einsickernden Wassertropfen an undichten Stellen auffangen und sich die Farbe von den Wänden löst, werden so die planerischen Fehlstellen ebenso erfahrbar wie die bautechnischen Mängel der visionären Gebäude. Braam, dessen bewusst langsames Abschreiten der eingetretenen Laufwege der Bewohner die Methode des Dérive verkehrt, entwirft so eine psychogeografisches Karte der architektonischen Umgebung. Sein eingeschränkt und abwechslungslos scheinendes Umherschweifen legt die funktionalisierten Strukturen der Gebäude offen, welche die Bewohner in eine eintönige Umgebung einzwängen. Der beschränkte Blick im Video wie in der Installation erscheint hier analog zu einer starren Architektur, die in ihrem Extrem weder Raum für das Individuum noch Raum für Fantasie lässt. Braam eignet sich die Methoden der Nachkriegsmoderne an und analysiert auf seinem Streifzug das Zukunftsbild einer Moderne aus der Prämisse ihres Scheiterns heraus. Cumbernaulds New Town sieht er als exemplarisches Beispiel für einen “in between state” zwischen Erhaltung, Demolierung und dem Vermögen, die Vorstellungen der modernistischen Utopie wieder aufleben zu lassen.

 Bram Braam - City of Tomorrow, 2014, courtesy Import Projects

Denn die schottische Stadt Cumbernauld verkörpert das Experiment einer visionären modernistischen Architektur, die in den Nachkriegsjahren das Zukunftsbild der „neuen Stadt“ in Beton gießt. So gilt es, sich die stadtplanerischen Konzeptionen der 1960er Jahre zu vergegenwärtigen und ihre Auswirkungen auf Leben und Wohnen in unserer Moderne zu überprüfen. Auf Grundlage der Charta von Athen, die 1933 auf dem Congrès Internationauxd'Architecture Moderne beschlossen wurde und bis weit in die Nachkriegszeit die städtebauliche Diskussion und Entwicklung bestimmte, sollte der Neubau einer kompletten Stadt den steigenden Wohnbedarf in der Nähe der schottischen Großstadt Glasgow decken. In Anlehnung an Corbusiers "Radiant City", in der verschiedene Bedarfs- und Aktivitätszonen die Stadt einteilen und der automobile Verkehr streng von Fußgängerwegen getrennt wird, durchzieht eine mehrspurige Straße den Cumbernaulder Stadtbezirk. Fußgängerbrücken überspannen die Straße, von der Wohnstraßen ohne Gehwege abzweigen, während die Bewohner sich den Fußweg zu ihren Häusern durch labyrinthartige Wege in den dahinter liegenden Grünanlagen bahnen müssen. Bestimmt aber wird die Stadt von ihrer Megastruktur im Zentrum, die mit dem herkömmlichen zellularen Muster von Nachbarschaften bricht (1). Auch dieser mehrstöckige, von dem britischen Architekten Geoffrey Copcutt entworfene Gebäudekomplex, der sich über eine Länge von mehr als 800 Metern erstreckt, steht auf Stelen und befolgt damit die strikte Trennung von Automobil und Fußgängern. Von den ebenerdigen Parkplätzen unter der Megastruktur führen Treppen und Aufzüge in ihr Inneres, in dem sich sämtliche wirtschaftliche, gesundheitliche und gesellschaftliche Einrichtungen befinden, die für eine komplette Stadt benötigt werden: neben Geschäften, Ärzten, Restaurants, Büros und Penthouses auch Unterhaltungs- und Sporteinrichtungen sowie eine technische Schule. Obwohl nur zwei von fünf Bauphasen abgeschlossen wurden, steht der utopistische Radikalraum synonym für die ganze gemeinschaftliche Stadt (2).



Während in den Anfangsjahren noch mehrere tausend Fachbesucher pro Jahr in die fünftgrößte schottische Stadt kamen, um das neue Prinzip demokratischen Bauens zu studieren, begannen die Bewohner in den Folgejahren die Auswirkungen politischer Fehlentscheidungen, wie das aufweichen des gesamtgestalterischen Konzepts und dessen nur teilweise Umsetzung, sowie die baulichen Fehlplanungen wie das verwirrende Wegesystem der Megastruktur zu spüren. Heute zieht es die Bewohner in die nördlicheren Stadtviertel, in denen Wohnen, wirtschaftliches und soziales Leben wieder näher aneinandergerückt sind und so das rigide Ordnungsschema der Bauideale aus den 1960er Jahren aufheben.

Was bleibt also von dieser gebauten Utopie, von dem einst visionären Zukunftsbild einer Stadt? Wie können wir die Ideale einer Zeit an unsere Gegenwart anpassen? Wie können wir aus der Gegenwart heraus, die Idee von Zukunft gestalten? Wie schon der situationistische Vordenker Gilles Ivain in seinem 1953 verfassten „Formulary for a New Urbanism“ bemerkte, „[will the architecture of tomorrow  be] a means of modifying present conceptions of time and space. It will be both a means of knowledge and a means of action.” Und genau darin liegt die Chance, die auch verfehlte Konzeptionen für die Zukunft bieten: an eine gesellschaftliche Vision anzuschließen und das Potenzial von Architektur voll auszuschöpfen.  

Matthias Philipp


(1) John R. Gold: The making of a megastructure: architectural modernism, town planning and Cumbernauld’s Central Area, 1955–75, S.3, in: Planning Perspectives, London 2006, S. 109-131.
(2) ebd., S.3.