Freitag, 28. November 2014

Schrill Bizarr Brachial. Das Neue Deutsche Design der 80er Jahre – Bröhan Museum, Berlin


Form follows fun - Experimentelles Design der 80er Jahre in Deutschland


„Schrill Bizarr Brachial“ geht es in Deutschland in den Achtziger Jahren nicht nur in der Malerei der Neuen Wilden oder den Songs der Neuen Deutschen Welle zu, auch im Design sorgen Gruppen wie Kunstflug, Möbel perdu, Stiletto oder Designer wie Andreas Brandolini, Herbert Jakob Weinand, Heinz Landes oder Axel Kufus und Ulrike Holthöfer international für Aufsehen. Ihr „NeuesDeutsches Design“ bietet einen radikal neuen, experimentellen Ansatz, der die gestalterischen Normen der Moderne und des Ulmer Designs dekonstruiert und in seiner gesellschaftspolitischen und lebensreformerischen Zielsetzung einen entschieden künstlerischen Anspruch an das Design stellt.

Diese neue, junge Generation an Designern, deren künstlerische Designobjekte das Bröhan Museum noch bis zum 1. Februar 2015 in einer Sonderausstellung zeigt, befreit sich im schrillen Gestus des Protests vom Diktum der Funktionalität und dem normierenden Zwang zur industriellen Massenproduktion. Dabei zielten die vielfältigen Designgruppen und Designer, die sich in Ermangelung eines gesamtdeutschen Zentrums in fast allen bundesdeutschen Großstädten formierten, zunächst darauf, die Codierungen des funktionalistischen Designs aufzubrechen und den eigentlichen Gebrauchsgegenstand auf seine sinnlichen Eigenschaften und sein gesellschaftspolitisches Potenzial zu untersuchen. Ihr „experimentellesDesign,“ so die eigentliche Selbstbezeichnung der Designer, will das Verständnis und die Möglichkeiten der Gegenstände neu ausloten und zeugt von ihrem neuen Selbstverständnis, das den Designer nicht nur als Auftragsempfänger der Industrie sieht, sondern als Künstler, Avantgardist und Visionär. Ihre Gestaltung von Möbeln, Lampen und Gebrauchsgegenständen berücksichtigt auf formaler und funktionaler Hinsicht die Pluralität der Lebensweisen, die zunehmende Digitalisierung und Technologisierung der 1980er Jahre wie auch die politische Realität des Kalten Krieges.

Ausstellungsansicht: Raum "Kunstflug", Bröhan Museum, Berlin, Foto: Nicola Arthen

 

Die Düsseldorfer Design Gruppe Kunstflug

Design habe „Zeichen für Hoffnungen, Ängste und Erwartungen einer Zeit zu schaffen,” (1) so das Motto der Düsseldorfer Gruppe Kunstflug, deren Krefelder Ausstellung „KUNSTFLUG. Neues Deutsches Design“ im Jahre 1983 der gesamten Bewegung ihren Namen gibt. Ihre aus Baumstämmen gestalteten „Baumleuchten“ und „Kaffeebäume“, knallig lackiert und mit Neonröhren versehen, kommentieren den Aspekt der ökologischen Herstellung sowie das Anfang der 1980er bestimmende gesellschaftliche Thema des grassierenden Waldsterbens in Europa.


links: Axel Kufus/Ulrike Holthöfer, "Bade-Regal", 1985, Kunststoff, Foto: Martin Adam, Berlin - rechts: Axel Kufus/Ulrike Holthöfer, Tischleuchte "Lichterstrauß", 1985, Telefonkabel, Kabelbinder, Leuchtkörper, Foto: Martin Adam, Berlin


Ready-Made-Objekte von Axel Kufus und Ulrike Holthöfer

Die Neuinterpretation von Gegenständen und Materialien schafft eine Art von “Ready-Made-Objekten,” die Vorhandenes mit unbefangenem Blick in neue Funktionen bringen. Axel Kufus und Ulrike Holthöfer transformieren so die Kunststoffform eines Gartenteiches in ein “Bade-Regal.” Und ihre Tischleuchte „Lichterstrauss“ bindet einfache Glühbirnen mit Telefonkabeln zusammen als Ausdruck der fortschreitenden Digitalisierung.


links: Heinz H. Landes, Freischwinger "Solid", 1986, Beton, Armierungseisen, Foto: Martin Adam, Berlin, (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2014 - rechts: Möbel perdu, Leuchte "Tyranno", 1984, Kunststoff, Glühlampe, Foto: Martin Adam, Berlin

Form follow fun - narratives Design von Heinz Landes und Möbel perdu

Die zumeist in Kleinserien oder als Unikate hergestellten Objekte kombinieren und experimentieren mit vorgefundenen und ungewöhnlichen Materialien – oft verwenden die Designer rohes Eisen, Stahl, Stein, Beton, Gummi und Plüsch. Heinz Landes schafft so mit seinem in Beton gegossenem Freischwinger „Solid“  eine Neuinterpretation des Designklassikers, dabei aber nicht unbedingt das bequemste Sitzmöbel des „Neuen Deutschen Designs.“ Die Leuchte „Tyranno“ der Hamburger Gruppe Möbel perdu kombiniert den funktionalen Gebrauchsgegenstand mit der erzählerischen und emotionalen Spielzeugfigur eines Dinosauriers und verkehrt so den Slogan „form follows function“ in „form follows fun!“


Andreas Brandolini, "Deutsches Wohnzimmer - Ensemble für die documenta 8", 1987, Foto: Martin Adam, Berlin

Das "Deutsche Wohnzimmer" auf der documenta 8

Erzählerisch wird es auch, wenn man sich Andreas Brandolinis Vorschlag des „Deutschen Wohnzimmers“ für die documenta 8 anschaut. Das Ensemble, welches das Bröhan-Museum in seiner originalen Ausstellungsinszenierung rekonstruiert, zeugt von der allgemeinen Annäherung zwischen Kunst und Design in den Achtziger Jahren. Die Sitzmöbel gruppieren sich hier um einen Teppich, auf dem das Motiv eines Lagerfeuers zu sehen ist. Darauf steht ein marmorner Tisch in Form einer Bratwurst, die bildlich über dem Feuer gegrillt wird. Brandolini verwendet für die Inneneinrichtung des Wohnzimmers narrative Zeichen und Codierungen, die auf die gesellschaftliche Funktion des Raumes und der Möbel verweisen: Das Lagerfeuer als archaisches Zeichen für die menschliche Begegnung, die um das Feuer herum sitzen, essen und Informationen austauschen. Auch die Satteltaschen des Fernsehtischs spielen auf den Informationsaustausch an. Mussten in früheren Zeiten Informationen noch mühselig mit Postkutschen und Reitern über lange Strecken transportiert werden, flimmern sie nun unmittelbar über den Fernseher in die Wohnung der Menschen. Gleichzeitig verweisen der Medienhund und die Medienkonsole auf dem Sofa auch auf die Notwendigkeit, das Design den neuen Realitäten einer medialisierten Gesellschaft anzupassen und dafür neue Formen zu finden. 


Ausstellungsansicht: Raum "Galerie Weinand", Bröhan Museum, Berlin, Foto: Nicola Arthen

"Gewalt und Schrecken" in der Berliner Galerie Weinand 

So wie sich das „Neue Deutsche Design“ den Ansprüchen einer digitalisierten Gesellschaft stellt, begegnet es auch der politischen Situation der 1980er Jahre. Die Berliner Designgalerie Weinand, die in ihren Räumen immer thematische Gruppenausstellungen veranstaltet, lädt 1985 Berliner Designer ein, Objekte zum Thema Gewalt und Schrecken zu entwerfen. Herbert Jakob Weinand selbst entwirft einen Teppich, in dem der Grenzverlauf der Berliner Mauer in den Stoff eingewebt ist. Seine Raketenleuchten und Bistrotische spielen dagegen auf den Nato-Doppelbeschluss an, der die Stationierung von atomar bestückten Pershing II Mittelstreckenraketen auf bundesdeutschem Gebiet vorsieht und der die Massenproteste der Friedensbewegung in den 1980er Jahren in Deutschland auslöst.

Das „Neue Deutsche Design“ stellt sich so der Realität und den Ansprüchen einer neuen Zeit, die von gesellschaftspolitischen und ökologischen Konflikten geprägt ist, und die pluralistischen Lebensentwürfen und gesellschaftlichen Fragestellungen ebenso in ihr Design einbezieht wie sie auch eine gestalterische Vision für die Zukunft entwickelt. In ihrem Formenvokabular zeigt so das „Neue Deutsche Design“ eine Vielzahl von Ansätzen und Positionen, die Ausdruck des Aufbruchs in eine neue Zeit  sind und die „gute Form“ des funktionalistischen Designs hinter sich lassen.

Matthias Philipp

Herbert Jakob Weinand, Teppich "Berlin", 1985, Wolle, Foto: Martin Adam, Berlin


1) Eisele, Petra: Deutsches Design als Experiment – Theoretische Neuansätze und ästhetische Manifestationen seit den sechziger Jahren, Köln 2005, S. 128.

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