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Bram Braam - City of Tomorrow, 2014, courtesy Import Projects |
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Bram Braam - City of Tomorrow, 2014, courtesy Import Projects |
Der niederländische
Künstler Bram Braam (*1980) zeigt in den
Räumen des Berliner Projektraums
Import Projects eine raumgreifenden
Installation, in der er uns mitnimmt auf seinen Streifzug durch eine vergangene
Zukunft. Die verschachtelte Installation mit dem Titel „City of Tomorrow“, die
sofort an ein architektonisches Raumgefüge denken lässt, in dem Gänge,
Treppenläufe, Lüftungsschächte und Versorgungsrohre über mehrere Raumebenen
hinweg ineinander greifen, nimmt Bezug auf die gebaute Utopie einer vergangenen
Moderne in der schottischen Stadt Cumbernauld.
Seine Erzählung beginnt bereits beim Betreten der
Installation. Der verschachtelte Raum, gebaut aus alten, wiederverwerteten
Rigips- und MDF-Platten, deren Wasserflecken und Spuren des Gebrauchs deutlich sichtbar
sind, fordert den Besucher auf, sich in die Struktur hineinzubegeben. Zu sehen
sind darin zwei geloopte Videosequenzen. Braam bedient sich in ihnen der
situationistischen Aneignungs- und Bewegungsstrategie des Dérive – dem
ziellosen Umherschweifen abseits ausgetretener Pfade – um so den Einfluss der
architektonischen Strukturen auf die Wahrnehmung zu erkunden. In der Tat wird
der Betrachter in die Perspektive eines Umherschreitenden versetzt, der sich
plötzlich in eine ineinandergeschachteltes System von Wegen gesetzt sieht.
Auf menschenlosen mäandernden
Gänge und scheinbar endlos verzweigten Versorgungswegen schreitet er das Innere
des Gebäudes der Cumbernaulder New Town ab. Starr nach vorne gerichtet folgt
der durch die architektonische Begrenzung der Installation sowie die
Kamerafassung beschränkte Blick der Laufrichtung des Künstlers, dessen Führung
der Kamera weder einen Blick nach rechts noch nach links erlaubt. Sein
langsamer Schritt scheint zielgerichtet, und so folgen wir dem Künstler auf seiner
Dérive durch menschenleere Gänge, in denen sich verschlossene Türen in endloser
Wiederholung aneinanderreihen, durch Gänge ohne natürliches Licht, die uns die
Tageszeit vergessen lassen, steigen mit ihm Treppenhäuser hinauf und übertreten
verglaste Brücken, die meterhoch über der Straße einzelne Gebäude miteinander
verknüpfen. Schnell stellt sich ein Gefühl der Isolation und
Orientierungslosigkeit ein, sich in den immergleichen Gängen und der
verschachtelten Gebäudestruktur zu verlieren, in der Trivialität der
Wiederholung unterzugehen. In verlassenen Gängen, in denen Eimer die
einsickernden Wassertropfen an undichten Stellen auffangen und sich die Farbe
von den Wänden löst, werden so die planerischen Fehlstellen ebenso erfahrbar
wie die bautechnischen Mängel der visionären Gebäude. Braam, dessen bewusst
langsames Abschreiten der eingetretenen Laufwege der Bewohner die Methode des
Dérive verkehrt, entwirft so eine psychogeografisches Karte der
architektonischen Umgebung. Sein eingeschränkt und abwechslungslos scheinendes
Umherschweifen legt die funktionalisierten Strukturen der Gebäude offen, welche
die Bewohner in eine eintönige Umgebung einzwängen. Der beschränkte Blick im
Video wie in der Installation erscheint hier analog zu einer starren Architektur,
die in ihrem Extrem weder Raum für das Individuum noch Raum für Fantasie lässt.
Braam eignet sich die Methoden der Nachkriegsmoderne an und analysiert auf
seinem Streifzug das Zukunftsbild einer Moderne aus der Prämisse ihres
Scheiterns heraus. Cumbernaulds New Town sieht er als exemplarisches Beispiel
für einen “in between state” zwischen Erhaltung, Demolierung und dem Vermögen,
die Vorstellungen der modernistischen Utopie wieder aufleben zu lassen.
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Bram Braam - City of Tomorrow, 2014, courtesy Import Projects |
Denn die schottische Stadt Cumbernauld verkörpert das
Experiment einer visionären modernistischen Architektur, die in den
Nachkriegsjahren das Zukunftsbild der „neuen Stadt“ in Beton gießt. So gilt es,
sich die stadtplanerischen Konzeptionen der 1960er Jahre zu vergegenwärtigen
und ihre Auswirkungen auf Leben und Wohnen in unserer Moderne zu überprüfen.
Auf Grundlage der Charta von Athen, die 1933 auf dem
Congrès Internationauxd'Architecture Moderne beschlossen
wurde und bis weit in die Nachkriegszeit die städtebauliche Diskussion und
Entwicklung bestimmte, sollte der Neubau einer kompletten Stadt den steigenden
Wohnbedarf in der Nähe der schottischen Großstadt Glasgow decken. In Anlehnung
an Corbusiers "Radiant City", in der verschiedene Bedarfs- und
Aktivitätszonen die Stadt einteilen und der automobile Verkehr streng von
Fußgängerwegen getrennt wird, durchzieht eine mehrspurige Straße den
Cumbernaulder Stadtbezirk. Fußgängerbrücken überspannen die Straße, von der
Wohnstraßen ohne Gehwege abzweigen, während die Bewohner sich den Fußweg zu
ihren Häusern durch labyrinthartige Wege in den dahinter liegenden Grünanlagen
bahnen müssen. Bestimmt aber wird die Stadt von ihrer
Megastruktur im Zentrum,
die mit dem herkömmlichen zellularen Muster von Nachbarschaften bricht (1).
Auch dieser mehrstöckige, von dem britischen Architekten
Geoffrey Copcutt
entworfene Gebäudekomplex, der sich über eine Länge von mehr als 800 Metern
erstreckt, steht auf Stelen und befolgt damit die strikte Trennung von
Automobil und Fußgängern. Von den ebenerdigen Parkplätzen unter der Megastruktur
führen Treppen und Aufzüge in ihr Inneres, in dem sich sämtliche
wirtschaftliche, gesundheitliche und gesellschaftliche Einrichtungen befinden,
die für eine komplette Stadt benötigt werden: neben Geschäften, Ärzten,
Restaurants, Büros und Penthouses auch Unterhaltungs- und Sporteinrichtungen
sowie eine technische Schule. Obwohl nur zwei von fünf Bauphasen abgeschlossen
wurden, steht der utopistische Radikalraum synonym für die ganze
gemeinschaftliche Stadt (2).
Während in den Anfangsjahren noch mehrere tausend
Fachbesucher pro Jahr in die fünftgrößte schottische Stadt kamen, um das neue
Prinzip demokratischen Bauens zu studieren, begannen die Bewohner in den
Folgejahren die Auswirkungen politischer Fehlentscheidungen, wie das aufweichen
des gesamtgestalterischen Konzepts und dessen nur teilweise Umsetzung, sowie
die baulichen Fehlplanungen wie das verwirrende Wegesystem der Megastruktur zu
spüren. Heute zieht es die Bewohner in die nördlicheren Stadtviertel, in denen
Wohnen, wirtschaftliches und soziales Leben wieder näher aneinandergerückt sind
und so das rigide Ordnungsschema der Bauideale aus den 1960er Jahren aufheben.
Was bleibt also von dieser gebauten Utopie, von dem einst
visionären Zukunftsbild einer Stadt? Wie können wir die Ideale einer Zeit an
unsere Gegenwart anpassen? Wie können wir aus der Gegenwart heraus, die Idee
von Zukunft gestalten? Wie schon der situationistische Vordenker Gilles Ivain
in seinem 1953 verfassten
„Formulary for a New Urbanism“ bemerkte, „[will the
architecture of tomorrow
be] a
means of modifying present conceptions of time and space. It will be both a
means of knowledge and a means of action.” Und genau darin liegt die Chance,
die auch verfehlte Konzeptionen für die Zukunft bieten: an eine
gesellschaftliche Vision anzuschließen und das Potenzial von Architektur voll
auszuschöpfen.
Matthias Philipp
(1) John R. Gold: The making of a megastructure:
architectural modernism, town planning and Cumbernauld’s Central Area, 1955–75,
S.3, in: Planning Perspectives, London 2006, S. 109-131.
(2) ebd., S.3.