Form follows fun - Experimentelles Design der 80er Jahre in Deutschland
„Schrill Bizarr
Brachial“ geht es in Deutschland in den Achtziger Jahren nicht nur in der
Malerei der Neuen Wilden oder den Songs der Neuen Deutschen Welle zu, auch im
Design sorgen Gruppen wie Kunstflug, Möbel perdu, Stiletto
oder Designer wie Andreas Brandolini, Herbert Jakob Weinand, Heinz Landes oder
Axel Kufus und Ulrike Holthöfer international für Aufsehen. Ihr „NeuesDeutsches Design“
bietet einen radikal neuen, experimentellen Ansatz, der die gestalterischen
Normen der Moderne und des Ulmer Designs dekonstruiert und in seiner
gesellschaftspolitischen und lebensreformerischen Zielsetzung einen entschieden
künstlerischen Anspruch an das Design stellt.
Diese
neue, junge Generation an Designern, deren künstlerische Designobjekte das
Bröhan Museum noch bis zum 1. Februar 2015 in einer Sonderausstellung zeigt, befreit sich im
schrillen Gestus des Protests vom Diktum der Funktionalität und dem
normierenden Zwang zur industriellen Massenproduktion. Dabei zielten die
vielfältigen Designgruppen und Designer, die sich in Ermangelung eines
gesamtdeutschen Zentrums in fast allen bundesdeutschen Großstädten formierten,
zunächst darauf, die Codierungen des funktionalistischen Designs aufzubrechen
und den eigentlichen Gebrauchsgegenstand auf seine sinnlichen Eigenschaften und
sein gesellschaftspolitisches Potenzial zu untersuchen. Ihr „experimentellesDesign,“ so die eigentliche Selbstbezeichnung der Designer, will das Verständnis und
die Möglichkeiten der Gegenstände neu ausloten und zeugt von ihrem neuen
Selbstverständnis, das den Designer nicht nur als Auftragsempfänger der
Industrie sieht, sondern als Künstler, Avantgardist und Visionär. Ihre
Gestaltung von Möbeln, Lampen und Gebrauchsgegenständen berücksichtigt auf
formaler und funktionaler Hinsicht die Pluralität der Lebensweisen, die
zunehmende Digitalisierung und Technologisierung der 1980er Jahre wie auch die
politische Realität des Kalten Krieges.
Ausstellungsansicht: Raum "Kunstflug", Bröhan Museum, Berlin, Foto: Nicola Arthen |
Die Düsseldorfer Design Gruppe Kunstflug
Design
habe „Zeichen für Hoffnungen, Ängste und Erwartungen einer Zeit zu schaffen,”
(1) so das Motto der Düsseldorfer Gruppe Kunstflug, deren Krefelder Ausstellung
„KUNSTFLUG. Neues Deutsches Design“
im Jahre 1983 der gesamten Bewegung ihren Namen gibt. Ihre aus Baumstämmen
gestalteten „Baumleuchten“ und „Kaffeebäume“, knallig lackiert und mit
Neonröhren versehen, kommentieren den Aspekt der ökologischen Herstellung sowie
das Anfang der 1980er bestimmende gesellschaftliche Thema des grassierenden
Waldsterbens in Europa.
Ready-Made-Objekte von Axel Kufus und Ulrike Holthöfer
Die
Neuinterpretation von Gegenständen und Materialien schafft eine Art von
“Ready-Made-Objekten,” die Vorhandenes mit unbefangenem Blick in neue
Funktionen bringen. Axel Kufus
und Ulrike Holthöfer transformieren so die Kunststoffform
eines Gartenteiches in ein “Bade-Regal.” Und ihre Tischleuchte „Lichterstrauss“
bindet einfache Glühbirnen mit Telefonkabeln zusammen als Ausdruck der
fortschreitenden Digitalisierung.
Form follow fun - narratives Design von Heinz Landes und Möbel perdu
Die
zumeist in Kleinserien oder als Unikate hergestellten Objekte kombinieren und
experimentieren mit vorgefundenen und ungewöhnlichen Materialien – oft
verwenden die Designer rohes Eisen, Stahl, Stein, Beton, Gummi und Plüsch.
Heinz Landes schafft so mit seinem in Beton gegossenem Freischwinger „Solid“ eine Neuinterpretation des
Designklassikers, dabei aber nicht unbedingt das bequemste Sitzmöbel des „Neuen
Deutschen Designs.“ Die Leuchte „Tyranno“ der Hamburger Gruppe Möbel perdu
kombiniert den funktionalen Gebrauchsgegenstand mit der erzählerischen und
emotionalen Spielzeugfigur eines Dinosauriers und verkehrt so den Slogan „form
follows function“ in „form follows fun!“
Andreas Brandolini, "Deutsches Wohnzimmer - Ensemble für die documenta 8", 1987, Foto: Martin Adam, Berlin |
Das "Deutsche Wohnzimmer" auf der documenta 8
Erzählerisch
wird es auch, wenn man sich Andreas Brandolinis Vorschlag des „Deutschen Wohnzimmers“ für die documenta 8 anschaut. Das Ensemble, welches das
Bröhan-Museum in seiner originalen Ausstellungsinszenierung rekonstruiert,
zeugt von der allgemeinen Annäherung zwischen Kunst und Design in den Achtziger
Jahren. Die Sitzmöbel gruppieren sich hier um einen Teppich, auf dem das Motiv
eines Lagerfeuers zu sehen ist. Darauf steht ein marmorner Tisch in Form einer
Bratwurst, die bildlich über dem Feuer gegrillt wird. Brandolini verwendet für
die Inneneinrichtung des Wohnzimmers narrative Zeichen und Codierungen, die auf
die gesellschaftliche Funktion des Raumes und der Möbel verweisen: Das
Lagerfeuer als archaisches Zeichen für die menschliche Begegnung, die um das
Feuer herum sitzen, essen und Informationen austauschen. Auch die Satteltaschen
des Fernsehtischs spielen auf den Informationsaustausch an. Mussten in früheren
Zeiten Informationen noch mühselig mit Postkutschen und Reitern über lange
Strecken transportiert werden, flimmern sie nun unmittelbar über den Fernseher
in die Wohnung der Menschen. Gleichzeitig verweisen der Medienhund und die
Medienkonsole auf dem Sofa auch auf die Notwendigkeit, das Design den neuen
Realitäten einer medialisierten Gesellschaft anzupassen und dafür neue Formen
zu finden.
Ausstellungsansicht: Raum "Galerie Weinand", Bröhan Museum, Berlin, Foto: Nicola Arthen |
"Gewalt und Schrecken" in der Berliner Galerie Weinand
So wie
sich das „Neue Deutsche Design“ den Ansprüchen einer digitalisierten
Gesellschaft stellt, begegnet es auch der politischen Situation der 1980er
Jahre. Die Berliner Designgalerie Weinand,
die in ihren Räumen immer thematische Gruppenausstellungen veranstaltet, lädt
1985 Berliner Designer ein, Objekte zum Thema Gewalt und Schrecken zu
entwerfen. Herbert Jakob Weinand selbst entwirft einen Teppich, in dem der
Grenzverlauf der Berliner Mauer in den Stoff eingewebt ist. Seine
Raketenleuchten und Bistrotische spielen dagegen auf den Nato-Doppelbeschluss
an, der die Stationierung von atomar bestückten Pershing II Mittelstreckenraketen
auf bundesdeutschem Gebiet vorsieht und der die Massenproteste der
Friedensbewegung in den 1980er Jahren in Deutschland auslöst.
Das
„Neue Deutsche Design“ stellt sich so der Realität und den Ansprüchen einer
neuen Zeit, die von gesellschaftspolitischen und ökologischen Konflikten
geprägt ist, und die pluralistischen Lebensentwürfen und gesellschaftlichen
Fragestellungen ebenso in ihr Design einbezieht wie sie auch eine
gestalterische Vision für die Zukunft entwickelt. In ihrem Formenvokabular
zeigt so das „Neue Deutsche Design“ eine Vielzahl von Ansätzen und Positionen,
die Ausdruck des Aufbruchs in eine neue Zeit sind und die „gute Form“ des funktionalistischen Designs
hinter sich lassen.
Matthias Philipp
Herbert Jakob Weinand, Teppich "Berlin", 1985, Wolle, Foto: Martin Adam, Berlin |
1) Eisele, Petra: Deutsches Design als Experiment – Theoretische Neuansätze und ästhetische Manifestationen seit den sechziger Jahren, Köln 2005, S. 128.
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